Alternativ könnte die Headline auch "Die Trinkwasser-Installation und der Temperaturen Dschungel - oder warum 60/55°C ?" heißen.
Während ich in einem meiner letzten Blogbeiträge das Thema: "Warum Trinkwasser kalt sein muss - Kaltwasser" aufgegriffen habe, schauen wir uns nun die andere Seite der Temperaturskala an.
Nur allzu oft finde ich mich in Diskussionen zum Thema Mindesttemperaturen in Trinkwasser-Installationen wieder.
Die Weitläufige Meinung ist, dass es im Bereich Kaltwasser (PWC) ,eigentlich` keine Vorgaben gibt. „Kaltwasser (PWC) kommt vom Versorger, das ist in Ordnung“.
Spätere Erwärmungen, sei es durch Raumtemperaturen ≥ 25°C oder Leitungsführungen parallel zu Warmwasser (PWH), Zirkulation PWH-C), oder Heizungsleitungen werden eher als angenehm empfunden. Aber dazu mehr in meinem Blogbeitrag „Warum Trinkwasser kalt sein muss - Kaltwasser“
Jetzt befassen wir uns mit den Temperaturvorgaben für den Bereich Warmwasser (PWH) und Zirkulation (PWH-C). In einer meiner Diskussionen auf LinkedIn kam die Frage nach der Quelle zu den von uns Fachleuten stets angemahnten 60/55°C auf. An dieser Stelle vielen Dank für den Impuls das Thema aufzugreifen und zu vertiefen. In diesem Dialog fielen Stichworte wie „W551“ und „Großanlage“ gepaart mit dem Hinweis „Für Ein- und Zweifamilienhäuser gilt das nicht“ und „50°C reichen aus“ „Bei Solar reichen mir auch 35°C“
Hat mein Gegenüber Recht mit seinen Argumenten?
Hierzu ein eindeutiges: NEIN! Aber warum?
Um dieses Nein zu verdeutlichen, und dem Wunsch nach Quellenangaben gerecht zu werden, bedarf es einer Reise quer durch den Dschungel der allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) und Gesetze in Deutschland. Damit die vorgebrachten Argumente zu verstehen sind, tauchen wir zuerst etwas tiefer in besagtes DVGW Arbeitsblatt W551 (04.2004) ein und widmen uns der Frage was ist eine „Großanlage“ und wie steht dieses Temperatur Irrtum mit Ein- und Zweifamilienhäusern in Verbindung.
Das DVGW Arbeitsblatt W551 Trinkwassererwärmungs- und Trinkwasserleitungsanlagen (…) erläutert uns dies unter Punkt 4 wie Folgt:
¬ Kleinanlagen - „Ein-, Zweifamilienhäuser unabhängig vom Inhalt des Trinkwassererwärmers und dem Inhalt der Rohrleitung“ - „Anlagen mit Trinkwassererwärmern mit einem Inhalt ≤ 400l und einem Inhalt ≤ 3l in jeder Rohrleitung (…)“
¬ Großanlage - „Anlagen mit Trinkwassererwärmern und einem Inhalt > 400l und/oder(!) >3l in jeder Rohrleitung zwischen dem Abgang Trinkwassererwärmer und Entnahmestelle“
Weiter heißt es dort unter Punkt 6.1 Großanlagen: „Bei Großanlagen muss das Wasser am Warmwasseraustritt des Trinkwassererwärmers stets eine Temperatur von ≥60°C einhalten (…)“ „Kurzzeitige Absenkungen im Minutenbereich sind tollerierbar (…)“ - Gemeint sind hiermit Schalthysteresen der Regelung. Bei einer Regler Einstellung von 60°C sieht eine Schalthysterese zumeist Einschalttemperaturen von 57,5°C und Abschalttemperaturen von 62,5°C (Durchschnittswerte) vor. Durch eine Pumpennachlaufzeit kann sich die Abschalttemperatur zusätzlich weiter erhöhen. Unter Punkt 6.2 Kleinanlagen steht unterdessen: „(…) Betriebstemperaturen unter 50°C sollten aber in jedem Fall vermieden werden. (…)“
Schauen wir in der VDI 6023 Blatt 1 (09.2023) „Hygiene in Trinkwasser-Installationen (…)“ finden wir unter Punkt 5.3.2 wieder die Angaben, dass Trinkwasser (warm) mindestens eine Temperatur von 55°C haben muss. Das Ende der Leitung ist zum einen die Endständigeentnahmestelle ABER eben auch der Warmwasserrücklauf -> Zirkulationsanschluss (PWH-C) am Trinkwassererwärmer. Die Normung gibt uns neben der Mindesttemperatur auch eine energetische Vorgabe: Der Temperaturverlust in der Zirkulationsleitung darf lediglich 5k betragen. Betrachten wir nun ältere Systeme sieht man, dass zur Einhaltung der Mindesttemperatur von 55°C am Zirkulationseingang des Trinkwassererwärmers (TWE) auch gerne mal 70°C am Ausgang des TWE`s benötigt werden. Energetisch fragwürdig, zur Einhaltung der geforderten Temperaturen jedoch notwendig. Wo kommen den nun die 55°C eigentlich her? Dazu schauen wir uns noch mal die Eigenschaften (Wachstum) der Legionellen an:
20 °C -> faktisch kein Wachstum
25 °C -> geringes Wachstum
30 °C -> vermehrtes Wachstum
35 °C – 45 °C -> optimal Wachstum => Verdopplung alle 3h
50 °C -> geringes Wachstum
55 °C -> Absterben innerhalb ca. 5-6 Stunden
60 °C -> Absterben innerhalb ca. 30 min
65 °C -> Absterben innerhalb ca. 2 min
70 °C -> Absterben innerhalb von Sekunden
Wir sehen, dass eine Sicherheit erst bei Temperaturen ab 55°C (Absterben innerhalb ca. 5-6 Stunden) besteht. Daher die in den verschiedenen technischen Regeln geforderte Mindesttemperatur von 55 °C.
Nun sind technischen Regeln per se kein Gesetz!?
Warum müssen wir sie dann einhalten?
Dazu muss ich etwas weiter ausholen . . . Die Grundlagen ergeben sich durch das Grundgesetzt mit Artikel 2 in Absatz 2: „Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit" Weiter geht es im BGB § 823: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, (…) eines anderen wiederrechtlich verletzt, (…)“. Man merkt schon wo die Reise hin geht. Am Ende sind wir aber noch nicht. Weiter geht es im seit Corona bekannten IfsG (Infektionsschutzgesetz) in § 37 „Beschaffenheit von Wasser für den menschlichen Gebrauch (…)“ heißt es: „(1) Wasser für den menschlichen Gebrauch muss so beschaffen sein, dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.“
Langsam schließt sich der Kreis . . . In der TrinkwV (Trinkwasserverordnung) (06.2023) heißt es in § 1 „(1) Diese Verordnung findet Anwendung auf das im 7. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes bezeichnete Wasser für den menschlichen Gebrauch.“ § 5 der TrinkwV schließt unseren Kreis und gibt an: „Die Anforderungen nach § 37 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes an die Beschaffenheit von Trinkwasser gelten als erfüllt, wenn
1. (…) mindestens die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden, (…)
Mit dem Wissen um die Eigenschaften der Legionellen (Temperaturen) und der sich ergebenden Verpflichtung gegenüber dritten (Nutzer „unserer“ Trinkwasser-Installation) erkennt man nun die Tragweite unseres handeln und unserer Verantwortung! Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind lediglich eine Vertiefung des Grundgesetzes. Angemerkt sei, dass sich im Gegensatz zu anderen Bereichen dadurch im Bereich SHK eine Art alleinstellungsmerkmal ergibt.
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